Bessere Einhaltung des Humanitären Völkerrechts

38 getötete Helfer des Roten Halbmondes in Syrien(1), Giftgaseinsatz in Ghuta (Syrien) im Jahr 2013(2), Vertreibung von Zivilpersonen aus Kampfgebieten in Nordsyrien; diese aktuelle Liste von Verletzungen des Humanitären Völkerrechts (HVR) ließe sich leider fortführen….

Das Rote Kreuz stellt sich seit langem die Frage, wie eine bessere Einhaltung des Humanitären Völkerrechts vorangetrieben werden kann. Wie kann auf nicht-staatliche Akteure, wie auf Staatenverantwortliche eingewirkt werden, sich an die Regeln zu halten, und haben die Vertragsstaaten eine besondere Verpflichtung zur Förderung der Einhaltung des HVR?

Die bestehenden Genfer Abkommen (1949) und ihre Zusatzprotokolle (1977) kennen bereits drei Instrumente der Überprüfung von behaupteten Verletzungen des HVR:
Untersuchungsverfahren (Art. 52 GA-I, 53 GA-II, 132 GA-III, 149 GA-IV)
Schutzmachtvertretung (Art. 12 GA-IV, 8 GA-I) und die
Internationale Humanitäre Ermittlungskommission (IHEK) nach Art. 90 ZP-I.

Bis auf die Funktion einer Schutzmachtvertretung (zuletzt angewandt in der Falklandkrise 1982) wurden die beiden anderen Verfahren in den langen Jahren ihres Bestehens (Untersuchungskommission seit 1949 und IHEK seit 1991) nicht mit einem Mandat betraut. Einen besonderen Beitrag zur Bestrafung von Kriegsverbrechen o.ä. wurde bisher lediglich durch ad-hoc-Strafgerichtshöfe (Jugoslawien, Ruanda u.a.) und zukünftig auch weiter durch den Internationalen Strafgerichthof (IStGH) geleistet. Hier jedoch bleibt das Problem, dass noch nicht alle Staaten sich den Verpflichtungen des IStGH unterworfen haben und somit eine universelle Anwendung ausbleibt.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und die Schweiz haben auf Grundlage einer Resolution der XXXI. Internationale Rotkreuz-Konferenz(3) aus dem Jahr 2011 eine Initiative zur besseren Einhaltung des HVR initiiert. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit sollen im Jahr 2015 der nächsten Rotkreuz-Konferenz präsentiert werden.

Im Rahmen von Gesprächen, zu denen alle Staaten eingeladen sind, wurden bisher drei Konferenzen abgehalten. Nach dem aktuellen Erkenntnisstand sind folgende Vorschläge bereits erörtert worden und könnten sich etablieren lassen:
Eine Möglichkeit die dabei angedacht wird, ist die Durchführung von jährlichen Treffen der Vertragsstaaten. Bisher war es hauptsächlich das IKRK und die alle vier Jahre tagende Internationale Rotkreuz-Konferenz, die die Stärkung des HVR thematisierte. Bei solchen angedachten jährlichen Staatentreffen ist zu beachten, dass diese wichtige Funktion der Rotkreuz-Konferenz nicht geschmälert werden darf! Tritt doch nur hier ein weltweit einzigartiges Forum aus Staatenvertretern und Vertretern des Roten Kreuzes zusammen. Jedoch gibt die lange Zeit zwischen den Rotkreuz-Konferenzen keine Gewähr dafür, dass das Thema ständig präsent bleibt und Fortschritte erzielt werden können.

Ein weiterer Vorschlag ist die Schaffung eines Berichtssystems, in dem alle zuständigen Regierungsstellen der Vertragsstaaten in regelmäßigen Überprüfungszyklen Bericht erstatten könnten. Sofern nicht eine Großzahl von Staaten diesem Berichtssystem aus politischen Gründen zustimmen kann, könnte das System auch auf thematischen Debatten unter den Staaten resultieren. Vielleicht bietet das System, das bei der Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte im System der Vereinten Nationen bereits angewandt wird, eine geeignete Vorlage für solche Formen eines Berichssystems zum HVR. Diese Vorschläge eines Compliance-Systems aus Staatentreffen, Berichtsverfahren und thematischen Diskussionen scheint bisher unter den Staaten Anklang zu finden.(4)

Als dritte Möglichkeit wird eine Einrichtung einer Fact-Finding-Funktion diskutiert. Die bestehende IHEK steht leider unter dem Vorbehalt, dass sie nur dort Anwendung finden kann, wo sie durch eine Zusatzerklärung durch die Staaten nach Art. 90 ZP-I oder durch eine ad-hoc-Erklärung ausdrücklich anerkannt wird. Dies sind derzeit lediglich 76 Staaten(5) – im Gegensatz zu den Genfer Abkommen (durch 194 Staaten anerkannt). Auch werden im Zusatzprotokoll I nur internationale bewaffnete Konflikte berührt. Die neue Fact-Finding-Funktion müsste also neue Ansätze für die Lösung auch dieser Probleme finden.

Hauptfrage einer besseren Einhaltung des HVR bleibt die Einbindung von nicht-internationalen Konflikten in ein zu schaffendes „Kontrollsystem“; bildet doch gerade dieser Konflikttyp den derzeitigen Hauptzweig der Konflikte. Meist werden bewaffnete Gruppen die mit einem Staat in Konflikt stehen als „gewöhnliche Kriminelle“ oder „Terroristen“ angesehen. Staaten haben gar kein Interesse daran, den Status von bewaffneten Gruppen auch nur irgendwie aufzuwerten. Die Initiative wird dieses bisher strittige Thema weiter beleuchten.

Die Verhandlungen des IKRK und der Schweiz werden in der nächsten Zeit fortgeführt; wir werden sehen, ob durch die obigen Vorschläge eine bessere Einhaltung des Humanitären Völkerrechts vorangetrieben werden kann. Es ist ein langfristiges Projekt, welches sich die beiden Partner aufgebürdet haben. Die bisherigen Diskussionen und die nächste Internationale Rotkreuz-Konferenz können nur als Meilensteine in diesem Prozess gewertet werden. Weitere Schritte, vor allem von Seiten der Vertragsstaaten, sind noch notwendig.

(1) ICRC News Release 14/144, 19.08.2014
(2) spiegel.de: Bürgerkrieg in Syrien: Uno bestätigt Einsatz von Nervengift bei Damaskus
(3) Resolution 1 der XXXI. Internationalen Rotkreuz-Konferenz: “Strengthening legal protection for victims of armed conflicts”
(4) Initiative der Schweiz und des IKRK für die bessere Einhaltung des Humanitären Völkerrechts. In: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften, Heft 2/2014, Seite 64
(5) Zahlen der IHEK: http://www.ihffc.org/Files/en/pdf/country_list_05.05.2014.pdf

Literatur:
* Nicolas Lang: Initiative der Schweiz und des IKRK für die bessere Einhaltung des Humanitären Völkerrechts. In: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften, Heft 2/20 14, Seite 59 ff.
Der Autor ist Sonderbotschafter der Schweiz für die Anwendung des Humanitären Völkerrechts im Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern.
* Schweizerische Eidgenossenschaft: Strategie zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten. Bern 2013

Links:
* IKRK-Dokumente zur Initiative
* Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten
* Internationale Humanitäre Ermittlungskommission

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