Die Genfer Abkommen und ihre Zusatzprotokolle enthalten auch Regelungen, die die Vertragsstaaten bereits vor Ausbruch eines bewaffneten Konflikts vorbereiten sollten. Dazu gehört die Ausgabe von Erkennungsmarken an Kinder.
Nach Art. 24 Absatz 3 des IV. Genfer Abkommens, sollten sich die Vertragsstaaten bemühen „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit alle Kinder unter 12 Jahren durch das Tragen einer Erkennungsmarke oder auf irgendeine andere Weise identifiziert werden können.“
Nachdem die Bundesrepublik Deutschland die Genfer Abkommen von 1949 im Jahr 1954 ratifiziert hatte, machten sich die Behörden Gedanken um die Umsetzung dieser Regelung.
Der Bundesminister des Innern legte dazu dem Bundeskabinett am 27. November 1963 einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Dieser wurde kurz darauf im Bundesrat eingebracht und beraten. Er sah vor, dass für jedes Kinder unter 12 Jahren eine Erkennungsmarke hergestellt werden sollte. Diese sollte den Namen, Geburtsdatum und Geburtsort des Kindes sowie Namen und Anschrift der Sorgeberechtigten enthalten. Auf Antrag konnte die Religionszugehörigkeit mit angegeben werden. Die erforderlichen Daten sollten „auf Verlangen“ von den Sorgeberechtigten erhoben werden; diese hatten auch dafür Sorge zu tragen, unrichtig gewordene Eintragungen korrigieren zu lassen. Zuständig waren die jeweiligen Meldebehörden, die Ausgabe der Marken war kostenfrei geplant. Bei Verlust der Erkennungsmarke sollte eine Gebühr von 10.- DM erhoben werden. Einige Pflichten aus dem Gesetzentwurf waren mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 500,- DM bei Vorsatz und 200,- DM bei Fahrlässigkeit belegt.
Nähere Angaben zur geplanten Marke sind im Gesetzentwurf wie folgt enthalten: „Nach dem augenblicklichen Stand der technischen Untersuchungen ist vorgesehen, die Erkenn-ungsmarke aus einem besonders widerstandsfähigen Stahl herzustellen, der hohe Bestän-digkeit gegen Feuer, Korrosion und mechanische Abnutzung besitzt. Die Marke soll an einem Kettchen aus dem gleichen Material um den Hals getragen werden. Die Eintra-gungen sollen auf photgraphischem Wege auf ein Aluminiumplättchen übertragen und dieses auf die Erkennungsmarke geklebt werden. Bei Veränderung der Eintragungen ist ein neues Plättchen aufzukleben.“
Die Kosten pro Stück wurden mit 3,- DM angegeben. Bei der Gesamtherstellung von 10 Millionen Stück (Erstausstattung) also eine Gesamtsumme von 30 Millionen DM, die ausschließlich die Bundesländer tragen sollten.
Die Stellungnahme des Bundesrates sah einige Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, so z. B.
• Möglichkeit der Selbstberichtigung der Erkennungsmarke bei Änderungen
• Absehen von einer Gebührenpflicht bei Wiederbeschaffung und
• Übernahme der Beschaffungskosten durch den Bund, Verwaltungskosten tragen die Bundesländer.
Die Vorschläge des Bundesrates wurden durch die Bundesregierung weitgehend abgelehnt, insbesondere die Übernahme der Beschaffungskosten durch den Bund.
Der Gesetzentwurf wurde dann am 20. März 1964 in den Deutschen Bundestag eingebracht, die erste Lesung erfolgte am 30. April 1964 mit der Überweisung an den Innenausschuss. Dieser empfahl den Gesetzentwurf u. a. mit weiteren Änderungen anzunehmen:
• in der Überschrift des Gesetzes sollte ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem IV. Genfer Abkommen aufgenommen werden
• Hinzufügung der Blutgruppe auf der Erkennungsmarke (für Kinder ab 6 Jahren)
• Gebührenpflicht bei jedem Verlust einer Marke
• Kostentragung durch den Bund, Verwaltungskosten durch die Bundesländer
• Vereinfachung der Bußgelder auf maximal 250,- DM
• Zeitpunkt des Inkrafttretens zum 1. Januar 1966, da noch technische und organisato-rische Vorbereitungen zu treffen sind.
Am 18. März 1965 empfahl der Deutsche Bundestag in seiner 173. Sitzung den Gesetzentwurf zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu überweisen.
Das Gesetzgebungsverfahren wurde durch die Wahl zum fünften Deutschen Bundestag (19. September 1965) durch sachliche Diskontinuität gestoppt und später nicht wieder aufgenommen.
Im Rahmen einer Fragestunde wurde fast 20 Jahre später, im Jahr 1983 berichtet, dass die Bundesregierung sich „zu den Zielen der Genfer Konventionen [bekennt]. Die finanzielle Lage des Bundes und andere notwendige Maßnahmen des Zivil- und Katastrophen-schutzes setzen insoweit jedoch auch Schranken. Unter den zur Zeit überblickbaren finanziellen Gegebenheiten beabsichtigt die Bundesregierung daher nicht, den Entwurf eines Erkennungsmarkengesetzes vorzulegen.“
Erwähnt werden soll hier noch, dass bereits im Jahr 1955 im BRK-Kreisverband Gerolzhofen ein Test mit Erkennungsmarken auf Veranlassung des Bundesministeriums des Innern stattgefunden hat. Dieser Test mit ca. 6.000 Probanden bezog sich aber ganz grundsätzlich auf Erkennungsmarken, nicht ausschließlich auf Kinder, wie im obigen Erkennungsmarkengesetz.
Quellen:
• Bundesrats-Drucksachen: 495/63 (Gesetzentwurf der Bundesregierung) und 495/63 (Beschluss des Bundesrates)
• Bundestags-Drucksachen: IV/2105 (Gesetzentwurf der Bundesregierung), IV/3062 und IV/3574 (Berichte des Innenausschusses), 10/165 (Schriftliche Fragen)
• Bundestags-Plenarprotokolle 04/125 und 04/173.
Literatur:
Armin Hospes : Unfall-Kennmarke oder Erkennungsmarke? Erkennungsmarken-Test 1955 des Bayerischen Roten Kreuzes im BRK Kreisverband Gerolzhofen. Eigenverlag, Marktheidenfeld 2022