70 Jahre Genfer Abkommen

Die Zivilbevölkerung war zu Beginn der 1930er Jahre nach Ansicht des IKRK noch nicht umfassend vor den Einwirkungen bewaffneter Konflikte geschützt und so erstaunt es nicht, dass das IKRK bereits im Jahr 1930 einen Abkommens-Entwurf zum „Schutz von Zivilpersonen gegen Luftkrieg“ vorlegte. Einige Zeit später (1934) wurde der Rotkreuz-Konferenz in Tokio ein erneuter Entwurf vorgelegt. Weiterhin wurden Vorschläge vorgelegt, die mögliche Einrichtungen von Sicherheitsorten und -Zonen vorsahen. Dieser „Entwurf von Tokio“ und die weiteren Vorschläge wurden von der Konferenz angenommen (Resolution XXXVL).

Der Abessinische Krieg (1935/36) und der Spanische Bürgerkrieg (1936/39) brachten weitere Erkenntnisse, welche weiteren Personengruppen ein besonderes Schutzbedürfnis haben sollten. Das IKRK arbeite auf verschiedenen Konferenzen zwischen 1936 und 1938 dazu mehrere Texte aus. Die RK-Konferenz von 1938 (London) forderte die Vereinfachung und Abgleichung der bisherigen Texte (Resolution X). Durch Ausbruch des II. Weltkrieges wurden diese Arbeiten zunächst eingeschränkt, auch weil die für 1940 geplante Rotkreuz-Konferenz nicht zustande kam. Das IKRK schlug den kriegführenden Partei am 23. Oktober 1939 jedoch bereits jetzt, im Entwurfsstadium der Texte, vor, die Inhalte der Schutzbestimmungen im Sinne der Gegenseitigkeitserwartung (Reziprozität) umzusetzen. Dieser Apell hatte jedoch nur geringen Erfolg.

Noch vor Kriegsende, am 15. Februar 1945, teilte das IKRK mit, dass die Arbeiten an den überarbeiteten Abkommen wieder aufgenommen werden und es eine Konferenz plane, um die bestehenden Texte (Abkommen I bis III) zu revisionieren und ein neues Abkommen verabschieden zu lassen. Nach einer Vorkonferenz mit den nationalen Rotkreuz-Gesellschaften (1946), einer Sachverständigenkonferenz von Regierungsvertretern (1947) und weiteren Konferenzen nahm die XVII. Rotkreuz-Konferenz in Stockholm im Jahr 1948 die vier vorgeschlagenen Abkommensentwürfe an.

Der Schweizer Bundesrat, ein steter Förderer der Vorarbeiten des IKRK im humanitären Bereich, lud dann am 20. September 1948 zu einer diplomatischen Konferenz insgesamt 70 Regierungen ein. Auf der Tagesordnung standen nun die Überarbeitung der Abkommen von 1927 (Verwundete und Kranke der Heere), die Revision des X. Haager Abkommens (Abkommen über die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg), sowie die Revision des Abkommens von 1929 über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Neu verabschiedet werden sollte das Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung. Diese Konferenz wurde am 21. April 1949 vom Schweizer Bundesrat Max Petitpierre eröffnet und geleitet. Der Einladung des Schweizer Bundesrates folgten damals 59 Regierungen, als Beobachter nahmen 12 weitere Regierungen teil. Während der Konferenzdauer wurden 37 Plenarsitzungen, 172 Sitzungen der vier Kommissionen und etwa 300 Sitzungen der Unterkommissionen durchgeführt!

Bereits am 11. August 1949 kam es zur Abstimmung über die Abkommenstexte. Es gab keine Gegenstimmen. Lediglich Israel enthielt sich bei den ersten beiden Abkommen der Stimme. Bei der Abstimmung über das (neue) vierte Abkommen enthielten sich Israel und Burma der Stimme. Folgende Gründe lagen diesen Enthaltungen zugrunde: Israel beantrage die Einführung und Festschreibung eines weiteres Schutzeichens, dem Magen David Adom („Roter Davidstern“). Burma schlug eine andere Form als die dann verabschiedete Form des Zeichen für Schutz- und Sicherheitszonen vor, „da der Kreis für das Recht auf Leben und die Ununterbrechlichkeit des eigenen Lebens steht.“

Am darauffolgenden Tag, dem 12. August 1949, unterzeichneten alle anwesenden 49 Delegationen die Schlussakte der Konferenz. Damit wurde das historische Rotkreuz-Datum (12. August 1949) begründet. Nur 17 Delegationen zeichneten zunächst das neue, vierte Abkommen. Während einer 6-Monatsfrist3 unterzeichneten weitere 61 Staaten diese Vertragsexte.

Zum aktuellen Stand (9. Juli 2019) sind 196 Staaten Vertragspartei der vier Genfer Abkommen von 1949; sie gelten daher als universelles Völkerrecht zum Schutz von Personen in bewaffneten Konflikten.

Literatur:
# Dr. Anton Schlögel: Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949 und die
beiden Zusatzprotokolle vom 8. Juni 1977 sowie die Abkommen betreffend die Gesetze
und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 und Anlagen (Haager
Landkriegsordnung), 8. Auflage, Bonn 1988, Seiten 14-16
# Hans-Peter Gasser, Nils Melzer: Humanitäres Völkerrecht – Eine Einführung. 2.,
überarbeitete Auflage, Genf 2012
# Deutsches Rotes Kreuz e.V.: Die Genfer Abkommen und ihre Zusatzprotokolle –
Vertragstexte, 12. Auflage, Berlin 2019

drk.de: www.drk.de/hvr

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